Autor und Psychologe Gerald Mackenthun (Berlin)
Autor und Psychologe Gerald Mackenthun (Berlin)

Ulrich Beck (2016): Die Metamorphose der Welt. Aus dem Englischen von Frank Jakubzik. Suhrkamp Verlag, Berlin, 267 S., 25.- €

 

Berlin, Dezember 2016

 

In seinem Buch „Die Risikogesellschaft" aus dem Jahre 1986 konstatierte der Münchner Soziologe Ulrich Beck ein Versagen von Wissenschaft und Technik angesichts wachsender Umweltrisiken. Dabei ging er, wie viele andere damals, von einer enorm gesteigerten Bedrohung aus. Immer mehr Katastrophen und stetig zunehmende Umweltverschmutzung würden Menschen, Tiere und Pflanzen immer stärker gefährden.

 

Die Gefahren, die man in den achtziger Jahren für besonders gravierend hielt, hießen Waldsterben, Atomkraft und Ressourcenverknappung. Heute weiß man: Zwei davon existierten gar nicht. Die Wälder in Europa dehnten sich im Jahrzehnt der allgemeinen Waldpanik aus. Seit Ende der achtziger Jahre stehen der Menschheit mehr und preiswertere Bodenschätze zur Verfügung. Die dritte Hauptgefahr, Kernkraft, wurde und wird nach wie vor hochgradig übertrieben. Die Folgen der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl und Fukushima erwiesen sich in Deutschland als gesundheitlich völlig irrelevant und in der Ukraine, Weißrussland und Ost-Japan als um Potenzen geringer als behauptet. Heute wird die Welt angeblich von der Klimakatastrophe und der Globalisierung bedroht. Und mit der gleichen Inbrunst wie damals werden die Argumente dafür zurechtgebogen.

 

„Die Risikogesellschaft der Gegenwart", schrieben im Jahr 2001 der Statistikprofessor Walter Krämer und ich in unserem Buch Die Panikmacher (Beck Verlag, München), „ist eine Gesellschaft der abnehmenden Risiken bei wachsendem Risikobewusstsein und steigenden Sicherheitsansprüchen." Die deutschen Ängste sind das Resultat eines historisch einmaligen Wohlstandniveaus, kombiniert mit weitreichender staatlicher Absicherung. „Wir leben immer länger, unsere Atemluft wird reiner, unsere Flüsse sauberer, unsere Autos sicherer.“

 

Die Panikmacher wollen all das nicht sehen. Krämer und ich orteten sie hauptsächlich unter den gut verdienenden Angestellten und Beamten der Bildungs-, Sozial- und Medienberufen, also den tragenden Säulen der deutschen Gesellschaft: „Sie trommeln auf allen Kanälen und überbieten sich mit Horrorvisionen. Sie kontrollieren große Teile der Medien, predigen auf unseren Kanzeln und dominieren die bundesdeutschen Lehrerzimmer." Daran hat sich wenig geändert.

Die globalen Fakten sprachen schon vor 40 Jahren gegen die Hypothese von der „Risikogesellschaft“. Seither haben sich die Parameter weiter verbessert. Immer mehr Menschen werden geboren, weil Geburt und Säuglingsalter kaum noch Risiken bergen, die Lebenserwartung, gemessen in Jahren und Monaten, steigt weiter und der Mittelstand, gemessen am Lebensstandard und am Einkommen, hat sich global gesehen enorm erweitert.

 

Ulrich Beck hat sich in den Folgejahrzehnten weiter mit dem globalen Wandel beschäftigt, wobei das angeblich steigende Lebensrisiko für die Weltbevölkerung den Grundton seiner soziologischen Analyse abgibt. So auch in seinem letzten Buch, das postum 2016 erschienene Werk Die Metamorphose der Welt.

Beck tritt auch im Alter mit großem Anspruch auf. Er möchte die Gegenwart auf einen neuen Begriff bringen. Dieser lautet „Verwandlung der Welt“. Damit würden frühere Konzepte wie Evolution, Revolution und Transformation überformt. Die drei letztgenannten Begriffe würden implizieren, dass sich manches ändere, vieles aber auch gleich bleibe. Das Wort „Metamorphose“ impliziert nach Beck eine weitaus radikalere Veränderung. Die ewigen Gewissheiten moderner Gesellschaften würden wegbrechen, und etwas ganz und gar Neues trete auf den Plan.

 

„Metamorphose“ bezeichnet, aus der Mythologie des Altertums kommend, die Verwandlung göttlicher oder menschlicher Wesen in Tiere, Pflanzen und Steine. Die Römer nannten es „reformari“. Einfache Gegenstände erhielten dadurch eine göttliche Beseelung. „Der Felsen ist nicht nur Stein, sondern Niobe, die um ihre Kinder weint“, erläuterte Hegel. Zu Zeiten Voltaires war „Metamorphose“ ein Modewort für allerlei geworden. Bei Goethe ist die Metamorphose nur die konkrete „Entwickelung“ der Pflanze aus einer Urgestalt. Es geht um bloße Verschiebungen im Äußeren – ein allgegenwärtiges Prinzip.

 

Beck sieht in der Metamorphose mehr – zu Unrecht. Das merkt man an seinem Beispiel. Er macht sie vor allem am Klimawandel fest. Da schon da fragt sich der Leser: Leben wir in Zeiten einer Klima-Metamorphose, eines ganz und gar anderen Klimageschehens? Gab es nicht schon immer lokales Wetter und globales Klima? Die Sorge um eine globale Erhöhung der mittleren Temperatur hat zu globalen Anstrengungen geführt, durch eine Begrenzung des Kohlendioxid-Ausstoßes die Erderwärmung zu begrenzen. Und stimmt denn auch die zweite These, dass nämlich mit der scheinbar globalen Bedrohung und der Reaktion darauf, dem global koordinierten Handeln, sich „die Art und Weise unseres In-der-Welt-Seins bereits verändert“ hat? Dem Augenschein nach leben die meisten Menschen weiter wie bisher. Die Steigerung des Konsums für immer mehr Menschen scheint ein nicht aufhebbares ökonomisches Gesetz zu sein. Und wo auf der Welt erschafft der steigende Meeresspiegel „neue Landschaften sozialer Ungleichheit“?

 

Müssen die Nebenfolgen von Metamorphosen immer negativ sein? Beck selbst benennt zumindest eine positive Nebenfolge, nämlich das geschärfte Bewusstsein für die Tragweite des Klimawandels und globaler Risiken. Er erörtert diese These an so unterschiedlichen Fallbeispielen wie der Globalisierung (von ihm „Kosmopolitisierung“ genannt), dem globalen Organhandel, der globalen Ungleichheit, den digitalen Risiken und den zwischenstaatlichen Beziehungen. Becks Blickwinkel ist dabei durchgehend negativistisch. Es werden von ihm nur die tatsächlichen oder scheinbaren Nebenfolgen der Moderne betrachtet. Die Freiheitsgewinne für Millionen von Menschen in vielen Staaten fallen bei ihm nicht ins Gewicht.

 

Auch für seine Behauptung einer radikalen „Metamorphose“ bietet das Buch keine Belege. Die Reflexionsfähigkeit und -lust des Menschen ist ungebrochen. Überhaupt scheint der Mensch in seinem Wesen eine nicht zu brechende Kontinuität aufzuweisen. Machtgier und Aberglaube lassen die Welt brennen, damals wie heute und in alle Ewigkeit. Gegen diese Erfahrung nimmt sich der Wandel seit den neunziger Jahren nicht gerade spektakulär aus. Was bedeutet schon eine durchschnittliche Erhöhung des Meeresspiegels um vier Zentimeter, wenn die Holländer auch ohne Klimaerwärmung auf einen möglichen Tidenhub von mehreren Metern vorbereitet sind?

 

Man müsste den Spieß gegen Beck umdrehen: In einem historischen und globalen Vergleichsrahmen fällt eher die Stabilität als die Ausnahme auf. Die ständig neu auf den Markt geworfenen sozialwissenschaftlichen Zeitdiagnosen der vergangenen Jahrzehnte leben von der Behauptung des Wandels und des Neuen. Ihr primäres Anliegen ist die Attraktion medialer Aufmerksamkeit. Becks Spätwerk macht da keine Ausnahme. Seine Theorie bleibt so gesehen „verblüffend konventionell“, schreibt Tobias Werron in einer Rezension in der FAZ (23. Dezember 2016, S. 10). Gibt es nicht viel deutlichere Trends der Moderne wie beispielsweise Bevölkerungswachstum, Umweltverschmutzung, Nationalismus, Terrorismus und religiösen Fanatismus?

 

Das Interesse des Menschen formt seine Erkenntnis. Das gilt auch für Ulrich Beck. Sein Interesse liegt auf der Linie eines grün-linken Weltverständnisses, für das unter anderem der Umweltschutz zentral wurde. Andere Phänomenen werden, auch dies ist ganz menschlich, als nicht so wichtige Nebentrends eingeordnet und folglich unterschätzt. Um solchen Einschränkungen vorzubeugen, müsste man über die deutschen und westlichen Erfahrungen hinausgehen und die Gesamtschau globalisieren. Ist der Kampf gegen Globalisierung und Lufterwärmung wirklich ein weltweites Anliegen? Sind deren Folgen wirklich nur negativ? Und wer, außer einer dünnen intellektuellen Schicht global vernetzter Aktivisten, interessiert sich dafür?

 

Das heißt nicht, dass diese Themen nicht wichtig wären. Aber sind sie Zeichen einer Veränderung, die mehr ist als nur der ständige Wandel des Gegebenen? Auch Becks letztes Werk lebt mehr von Hypothesen als von Tatsachen.

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Priv.-Doz. Dr. Gerald Mackenthun

Dipl.-Politologe

Dipl.-Psychologe

Dr.phil.

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